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Ein wütender Text über das Gefühl ohne zu wissen, was es eigentlich ist

Vielleicht muss ich dieses Gefühl einfach mal zulassen. Öffentlich zulassen. Abgehängt. Nichts mehr zu sagen, irrelevant. Keine Ahnung, ob das ein Schriftsteller-spezielles, ein Tobi-spezielles oder ein universelles Problem ist. Aber mir zumindest raubt es jeden Tag den Impuls, noch irgendetwas mit meiner Zeit anzufangen, einfach aus Angst, dass da am Ende nichts bei rauskommt, was jemand haben will.

Ich weiß. Klingt wie jammern. Ist es bestimmt auch. Zu einem Teil. Aber mich interessiert die Mechanik dahinter. Weshalb fühle ich mich so, als ob alle Themen in mir irrelevant seien?

Zu einem Teil bestimmt, weil mir das von außen kommuniziert wurde. Der Stoff deines letzten Romanversuchs – sorry, verkauft sich gerade ganz schlecht, männliche Stimmen sind gerade auch nicht so gefragt. Tobi, warum hast du immer diese sicheren Themen? Warum wagst du nicht mal was?

Was soll man denn wagen in dieser Zeit? Als ob ich unendlich viele Versuche hätte. Ich verstehe das alles nicht. Ich verstehe mich nicht, die Branche nicht, alles nicht. Ich verstehe ja nicht einmal, wer ich bin. Bin ich Schriftsteller? Bühnenkünstler? Komiker? Oder alles zusammen und deshalb eigentlich nichts davon?

Ja.

Vielleicht.

Das Gefühl einfach mal zulassen, nicht zu wissen, was wird. Was man sein und werden soll. Was erwartet wird. Was gelingt. Was nicht gelingt. Fucking Gegenwart aushalten, damit Zukunft passieren kann. Ist bestimmt kein Künstler-Problem, sondern so ein Welt-Problem, mit den ständig steigenden Erwartungen an uns selbst, weil alles beige und morgenfrisch sein muss, das Bett gemacht, bevor wir aufgestanden sind, die Fruit-Bowl fotogen durch die Küche geschwenkt bevor man überhaupt die Bolognese-Reste von gestern Abend rausgekratzt hat, dieses Gefühl von Überforderung abgeworfen, bevor das Hirn Zeit hatte, auf das Herz einzuprügeln ich weiß es doch auch nicht.

Das Gefühl zulassen, nicht mehr erschöpft zu sein von dem Gedanken an den nächsten Einkauf unter Menschen, weil mich Inflation stresst und die Preise von Zitronen, ungefähr genau so viel wie die Menschen im Supermarkt, die nicht begreifen, dass sie Körper haben und unachtsam mit dem Platz umgehen, der ihnen zur Verfügung steht. Das alles stresst mich genauso wie zu viele Stimmen im Hintergrund und der moralische Verfall von Dieter Nuhr.

Das Gefühl zulassen, viel zu wenig Zeit zu haben obwohl die Zeit aus allen Ecken und Enden quillt. Das Gefühl zulassen, Luxusprobleme zu haben. Das Gefühl zulassen, dass auch Luxusprobleme Probleme sind, die dich in den Abgrund treiben. Das Gefühl zulassen, wie ein wahnsinniger all das in einen inkohärenten Text zu kotzen, mit so vielen Zeichen pro Minute wie seit Jahren nicht mehr, das befreiende Gefühl erkennen, dass sich Luft machen manchmal wirklich Luft macht, Freiräume schafft, wenn die Explosion erstmal verhallt ist und wieder unverbrannter Sauerstoff nachsickert. Das Gefühl haben, dass man Gefühle auch öffentlich zulassen darf, vor allem solche, die so laut Zweifeln und Nagen und Schreien, dass sie eigentlich nicht für draußen sind, sondern Gefühle, die man drinnen hat, allerhöchstens mal in einem Wintergarten. Und was, wenn man sich den nicht leisten kann, weil alles, was man bisher getan hat irgendwie nicht so richtig funktioniert hat, was dann? Dann müssen die Gefühle halt nach draußen, ins Internet, den Hinterhof der Lebensrealität. Aber immerhin nicht auf der Straße, sagt man ja immer so.

Das Gefühl zulassen, gerade keine Ahnung zu haben, wo es hingehen soll mit mir und dem, was ich kann und will und mag. Auch kein Künstler-Problem, schätze ich. Wo will ich denn?
Was soll ich wollen, was kann ich dürfen? So viele Fragen. Ich weiß es doch auch nicht.

Schreibt mir gern, vielleicht finden wir das alle gemeinsam raus.
Das Gefühl zulassen, vielleicht nicht mehr allein zu sein mit dem Gefühl.
Ich glaube, das fühlt sich gut an.

 

Kommentare (6)

  1. Oh Mann, mir voll von der Seele geschrieben.
    Ich finde.Leute toll, die mit ihrem Jeep laut lachend und feiernd durch die Gegend fahren und einfach happy sind.
    Warum kann oder will ich das nicht? Warum kann ich so etwas nicht genießen? Warum muss ich ,wenn überhaupt, wissen
    1. Wie lang geht die Tour?
    2. Wie weit weg fahren wir?
    3. Mag ich alle, die dabei sind?
    4. Wie komm ich weg, wenn ich es nicht aushalten?
    5. Was ist, wenn es zu warm ist
    6. Wenn mein Kreislauf nicht mit macht ?
    ……….
    Ect.
    Also lass ich es.
    Ich muss heute Einkaufen. Die gleichen Probleme wie Du.
    Wer bin ich ? Wer möchte ich sein und warum bin ich so, wie ich bin?
    Fragen über Fragen…..

    Ganz liebe Grüße von mir an Dich

  2. Also, „gerade keine Ahnung“ und „zuzulassen, Luxusprobleme zu haben“, das bestimmt meine Gegenwart seitdem ich nach einer kurzen (Reise-)pause wieder in meinem Alltag zurück bin, den ich nicht mehr verstehe und mit dem ich mich nicht mehr identifizieren kann, obwohl ich mich frage, warum, wenn das schon so lange gutging, mit diesem Alltag, warum klappt das nun plötzlich nicht mehr? Nicht mehr wissen, was man will, warum man meint, es zu wollen – und vor allem, nicht zu wollen – und wenn das so ist, wohin denn dann?
    WIE ich das verstehe!!!
    Als ganz kleine Teillösung, um etwas Druck aus dem Ganzen rauszunehmen, habe ich komplett aufgehört, das Weltgeschehen zu verfolgen und muss sagen, es ist eine Last weniger. Wobei, dann denke ich, wie egoistisch von mir, darf ich mich zu meinem Desinteresse bekennen?
    Ich würde mir manchmal wünschen, es gäbe so was wie ein alter Weise auf einem Berg, der mir den Schlüssel in die Hand gibt, um aus dem goldenen Käfig auszubrechen, in dem ich mich doch so lange so wohl fühlte und sich Alltag nennt, um in die ersehnte – aber auch gefürchtete – Zukunft zu wechseln. Aber den gibt es, fürchte ich, nicht.
    Es tut gut, zu wissen, dass man nicht alleine ist.
    Danke Tobi!

  3. Ok, der Unterschied zwischen uns ist zunächst: Ich bin alt. Alt geworden, zu meiner täglich grenzenlosen Überraschung.
    Und ich bin künstlerisch erfolglos, finde ich. Andere Menschen sind da anderer Meinung,. Doch meine Fakten geben mein Ergebnis her. Was mir jedoch meistens egal ist, inzwischen.

    Was das Ich angeht, bin ich nach vielen Jahren übelster Ich-Suche auf die Idee gekommen, die Suche aufzugeben und mich nicht mehr zu suchen. Keinen Platz mehr suchen, keinen Stellenwert, keinen Reichtum, keine Berühmtheit, keine Zweifel, kein Verzweifeln, einfach nichts mehr suchen. Nur noch das mitnehmen, was ich mir selbst als Tat ausdenke und was ich arbeite. Meine Taten, meine Ergebnisse reichen mir. Immer und jeden Tag.

    Was mich dann sehr schnell verblüffte, war die Rückmeldung der anderen Menschen. Ich wäre ein toller Mensch, so gelassen, so kompetent und so ein wunderbarer Kollege und Ratgeber.

    Tja. Und da lebe ich nun (doch noch), habe ab und an die alte Krankheit und lasse dann alles auf mich zukommen. Meine Ideen, andere Leute, unvollendete Projekte, wunderbare Lesungen, Geld, kein Geld, schlechte Laune, Euphorie und die Sache mit dem, was ich eigentlich mal werden wollte.

    Was nicht klappt, ist eben so, dass es nicht geklappt hat. Bin ich wütend, dann bin ich wütend. Bin ich traurig, bin ich traurig. Doch meistens bin ich jetzt einfach erschöpft vor Glück. Trotzdem ich ein alter, kaputter, kranker Sack geworden bin. Und genau das bin ich, ohne mich suchen zu müssen.

    Und wenn mich jemand fragt, wie er mich nennen soll, dann antworte ich meist „Nennt mich weiser, alter Mann! Denn meistens weiß ich schon vorher, was nachher passiert.“ 🙂 Und das ist so unendlich cool, seitdem ich dann doch endlich ich geworden bin, weil ich nicht nach mir gesucht habe.

  4. Danke für deine Worte und Gedanken. Sie sind wie aus meinem Herzen geschrieben. Ich umarme dich und wünsche uns eine baldige Besserung.

  5. Sehr nachvollziehbare Worte.
    Ich habe mein Leben lang geschrieben, Gedichte hauptsächlich – nur für mich bzw. das Internet.
    Zunehmend verstummte diese Seite von mir in den letzten Jahren immer mehr. Und ich vermisse es, ich vermisse in Worte fassen zu können, was ich fühle bzw noch nicht fühlen kann.
    Weil sich alles schon gesagt anfühlt und nicht relevant genug, das Papier nicht wert auf dem es stünde.

    Aber seit kurzer Zeit habe ich es doch wieder gewagt und einfach losgelegt, denn ja alles wurde bereits tausend mal gesagt in dieser Welt von irgendwem der vor mir da war. Das heißt aber nicht, dass ich es nicht trotzdem zu sagen habe.
    Vielleicht auf andere Art und Weise. Und ich glaube auch nicht, dass man sich entscheiden muss, was man ist und dann nichts anderes mehr sein kann.

    In diesem Sinne, wünsche ich dir Inspiration und den Mut ganz du zu sein mit jeder Faser deines Seins. Denn anhand dieses Textes alleine ist ganz klar ersichtlich: du hast was zu sagen und es erfüllt dich mit Schmerz es nicht zu tun.

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