Stream doch mal…
Eigentlich sollte ich gerade an meinem neuen Bühnenprogramm schreiben. Aber allein beim Gedanken daran – zieht alles in mir die Notbremse. Über Tage habe ich gerätselt, warum dem so ist. Habe viele Ausreden gewälzt, es auf die Hitze und den unaufgeräumten Schreibtisch geschoben – und an all dem ist auch bestimmt was dran. Aber.
Ich bin ein wenig ratlos
Niemand weiß, wie das alles weitergeht. Ich habe keine Ahnung, wann ich wieder „richtig“ auf die Bühne kann – und, viel schlimmer, keine Ahnung, wann ihr wieder „richtig“ vor die Bühne dürft. Diese Unsicherheit lässt alles, was ich hier aufzuschreiben hätte, etwas sinnlos scheinen. Natürlich kennt man das als KünstlerIn.
„Wird das Buch überhaupt erscheinen?“
„Wird überhaupt wer diese Platte kaufen?“
„Gefällt das irgendwem?“
Aber dieser Tage mischt sich eben noch etwas anderes hinzu. In so ziemlich jeder Kommentarspalte so ziemlich jeden Artikels lese ich von dieser Digitalität, die die KünstlerInnen jetzt aber doch endlich mal nutzen sollten.
Einfach mal was streamen.
Da würde man, als Verfasser besagten Kommentars, sofort Geld auf den Tisch für legen. Und alle anderen ganz sicher auch. Doch die Realität sieht leider sehr anders aus. Mit der gestreamten Variante meines Soloprogramms habe ich ganze 120€ verdient – nachdem alle anderen beteiligten Parteien (Videocrew, Theater, Agentur) auf ihre Anteile daran verzichtet haben.
Mein interaktiver Krimi im Internet (www.BerndKies.de – schamlose Werbung) hat bei rechnerischen Produktionskosten von knapp 10.000€ bis heute solide 210€ Umsatz auf Spendenbasis erzielt. Rentabel geht irgendwie anders. Was kein Vorwurf ist. Ich kenne das von mir selbst. Flatrates haben mich zahlfaul gemacht, das Internet hat mich zahlfaul gemacht. Denn die Leistung, dieses Konzert, diese Lesung, die ist doch schon erbracht worden. Früher mal. Für jemand anderen. Ich bin doch sozusagen nur Kollateral-Konsument. Da jetzt nochmal zu zahlen – scheint mir abwegig. Ich konsumiere das doch nur, weil es ohnehin schon da ist.
Alles ist Zweitverwertung
Aber diese Zweitverwertung steht an erster Stelle. Und wenn alle ihre Klamotten nur noch Secondhand kaufen – was passiert dann mit der ersten Hand? Wo soll der ganze Scheiß denn herkommen? Wenn alle nur noch Gebrauchtwagen kaufen – wird das Betreiben einer Autofabrik recht schnell zu einem eher kostspieligen Hobby. Klingt jetzt alles weit hergeholt, ich weiß. Aber die Kunst – steuert mit der Kultur des Streamings genau darauf zu. Ist ja eh schon da.
Kunst ist keine Infrastruktur. Auch wenn Spotify es so verkauft.
Und das ist das Problem. Streaming und Flatrates rauben dem einzelnen Kunstwerk den Status des individuellen Produkts. Alles wird Ressource, quantitativ. Und damit Hintergrundrauschen. Streaming und Flatrates befreien uns als Konsumenten von der Notwendigkeit, eine Verpflichtung einzugehen. Uns festzulegen. 15 Schleifen für nur EIN Album? Nur EIN Hörbuch? Und was mache ich dann, wenn ich das durchgehört habe? Etwa NOCHMAL Geld ausgeben, wenn ich was anderes hören will? Ja, verdammt.
Kunst ist ein Produkt. So hart und egoistisch das klingt. Wahrhaftige, aufrichtige Kunst – erfordert KünstlerInnen, die sich ihrem Schaffen verpflichtet fühlen. Das wollen wir alle. Menschen, die ernst nehmen, was sie tun. Damit es kein beliebiger Mist wird, den sie da veröffentlichen. Kein in der Mittagspause hingerotzter Ramsch. Sondern eben, ja, Kunst. Ein Song, der dich zum Heulen bringt. Oder euphorisch tanzen lässt. Ein Buch, das dir mal eben eine neue Welt erzählt. Und das erfordert Hingebung. Sich voll und ganz darauf einlassen. Oder eben, anders ausgedrückt, Verpflichtung.
Und diese Verpflichtung muss aber auf beiden Seiten stattfinden, damit Kunst weiter stattfinden kann. Und Verpflichtung auf Konsumentenseite bedeutet eben: kaufen aus erster Hand.
Flatrate-Streaming ist Zweitverwertung. Aber eben ab Werk. Und das wird, auf kurz oder lang, richtig, richtig schiefgehen.
Das alles hier ist kein wütender Rant, dass ihr gefälligst meine Bücher kaufen sollt. Natürlich sollt ihr das, aber darum geht´s mir nicht. Wir als Gesellschaft müssen umdenken, wenn wir weiterhin bedeutungsvolle Kunst haben wollen. Ich will das Streaming nicht verteufeln. Denn es ist so höllisch praktisch. Für uns als Konsumenten. Kostet 10€ im Monat. Aber um den Preis bieten zu können – muss eben leider die Kunst entwertet werden. Klingt bitter. Ist aber leider so. Wächst ja nicht auf Bäumen, der ganze Kram.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.